Journal

23.06.2016

Beitrag von Rechtsanwältin Dr. Natalie Hildebrandt im Vergabenavigator 4/16

OLG Koblenz: Ortsvorgabe muss gerechtfertigt und verhältnismäßig sein.

Ein öffentlicher Auftraggeber darf sich bei der Festlegung des Übergabe-Ortes für Abfall an den Entsorger in erster Linie an seinen eigenen Bedürfnissen orientieren. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz in einem Beschluss vom 20.4.2016 (Verg 1/16) entschieden. Die Benachteiligung nicht ortsansässiger Unternehmen ist allerdings nur dann hinnehmbar, wenn die Orts-Vorgabe sachlich legitimiert ist, zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignet ist und die Ungleichbehandlung sich auf das Notwendige beschränkt, also verhältnismäßig ist. 

Der Sachverhalt

Die Vergabestelle ist öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger und hatte den Auftrag der Übernahme und Verwertung von Grünabfällen zu vergeben. Hierzu führte sie ein offenes Verfahren durch. Die Angebotsfrist betrug rund fünf Wochen. Der Zuschlag sollte im Herbst 2015 erteilt werden. Die Leistung war ab 1.1.2016 zu erbringen.

Der künftige Auftragnehmer sollte die Grünabfälle, die mit kommunalen Sammelfahrzeugen oder von Gartenbaubetrieben etc. direkt angeliefert werden, entweder auf einem Umschlagplatz oder in einer Endverwertungsanlage übernehmen. Während die Endverwertungsanlage entweder im Stadtgebiet Mainz oder höchstens 5 km Luftlinie von der Stadtgrenze entfernt liegen durfte, musste ein zur Übernahme vorgesehener Umschlagplatz im Stadtgebiet liegen.

Der Auftragnehmer musste im Übrigen als Entsorgungsfachbetrieb zertifiziert sein, um die streitgegenständlichen Leistungen erbringen zu dürfen.

Ein Bieter rügte diese Vorgaben. Das Unternehmen verfügte weder über einen Umschlagplatz in Mainz noch über eine Endverwertungsanlage in bzw. bei Mainz, wo die Grünabfälle nach den Vorgaben des Auftraggebers hätten übernommen werden können. Nach dem Zeitplan des Vergabeverfahrens hatte der Bieter unstreitig auch nicht ausreichend Zeit, einen Umschlagplatz im Stadtgebiet einzurichten, genehmigen und zertifizieren zu lassen.

Der Bieter beanstandete, dass Unternehmen wie seinem eine Teilnahme am Vergabeverfahren wegen der Zusammenfassung von Umschlag und Verwertung unmöglich gemacht werde. Diese unzulässige Ungleichbehandlung müsse entweder durch das Einräumen längerer Fristen oder durch die Aufteilung des Auftrags in die Lose „Umschlag der Grünabfälle“ einerseits und deren Verwertung andererseits korrigiert werden.

Da die Auftraggeberin von ihren Forderungen nicht abrückte, leitete der Bieter ein Nachprüfungsverfahren ein. In der mündlichen Verhandlung erklärten die Verfahrensbeteiligten, sie stimmten darin überein,

„dass nur der Auftragnehmer als Entsorgungsfachbetrieb für die streitgegenständlichen Leistungen zertifiziert sein muss. Das mit der  Angebotsabgabe einzureichende Zertifikat muss nicht den angebotenen Umschlagplatz erfassen.“

Die Auftraggeberin blieb jedoch bei ihrer Auffassung, dass die örtlichen Vorgaben zur Abfallübernahme zulässig waren. Die Forderung nach einem Übergabeort in bzw. bei Mainz sei dem Umstand geschuldet, dass die Entsorgungslogistik mit ihren ausgefeilten und bewährten Tourenplänen längere Transportwege nicht zulasse. Dass die Endverwertungsanlage, anders als der Umschlagplatz, auch in einem Umkreis von 5 km zur Stadt Mainz liegen dürfte, sei rein faktischen Gründen geschuldet.

Es gebe in Mainz drei als Umschlagplätze geeignete Betriebsstätten, jedoch keine Endverwertungsanlage. Die Antragstellerin könne sich einen Umschlagplatz–Betreiber im Stadtgebiet Mainz suchen, um die Leistung anbieten zu können.

Die Auftraggeberin sah sich nicht verpflichtet, die Ausschreibung so zu gestalten, dass sich auch Unternehmen mit einem neuen Umschlagplatz beteiligen können. Sie argumentierte, sie müsste dann eine sehr lange Vorlaufzeit ansetzen. Dies könne wegen der starken Preisschwankungen auf dem Markt dazu führen, dass die angebotenen Preise bei Leistungsbeginn nicht mehr marktkonform seien. Das wiederum mache Bietern eine belastbare Kalkulation nahezu unmöglich, was zu unwirtschaftlichen Angeboten führen könnte.

Die Vergabekammer Rheinland-Pfalz wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Sie begründete dies mit dem Leistungsbestimmungsrecht der Auftraggeberin. Die Festlegung sei sachlich begründet; die damit einhergehende Einengung des Wettbewerbs grundsätzlich hinzunehmen.

Ein Auftraggeber könne seine Ausschreibung im Abfallbereich grundsätzlich auf das Angebot bereits bestehender Umschlag- und Verwertungsanlagen beschränken. Eine zwingende Verpflichtung, auch zukünftig geplante, noch nicht errichtete Umschlagplätze in das geforderte Leistungsprofil mit aufzunehmen, bestehe nicht.

Der Auftraggeber dürfe zur Sicherung seiner Entsorgungspflicht auch wettbewerbsbeschränkende Leistungsvorgaben  verwenden. Die Auftraggeberin sei auch nicht zu der vom Bieter geforderten Losvergabe verpflichtet, weil es ein Fachlos „Annahme und kurzfristige Zwischenlagerung von Grünabfällen auf einem Umschlagplatz“ nicht gebe.

Gegen den Beschluss der Vergabekammer wandte sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde an das OLG Koblenz.

Die Entscheidung

Mit Erfolg. Das OLG Koblenz wies zwar das Ansinnen der Antragstellerin zurück, die Vergabe in die Lose Umschlag einerseits und Verwertung andererseits zu teilen. Das Vergaberecht verlange von dem Auftraggeber keine wirtschaftlich unsinnige „Kernspaltung“. Die Frage, ob das Betreiben eines Umschlagplatzes für Grünabfälle ein Fachlos ist, sei fraglos zu verneinen. Ob Teillose hätten gebildet werden müssen, entschied der Vergabesenat nicht, da die Antragstellerin eine Aufteilung in Teillose nicht anstrebte.

Die örtlichen Vorgaben für die Abfallübernahme hielt das OLG Koblenz jedoch für vergaberechtswidrig. Es betonte zwar zunächst das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers. Dieser könne sich bei der Festlegung des Leistungsortes oder des Ortes, an dem, wie hier, mit der Leistungserbringung begonnen werden soll, in erster Linie an seinen eigenen Bedürfnissen orientieren. Wenn der Abfall an ein externes Unternehmen übergeben werden solle, das diesen verwerten müsse, liege es im legitimen Interesse des Auftraggebers, die eigenen Transportwege so kurz wir möglich zu halten.

Als zusätzlich legitimierenden Grund sah das OLG die Tatsache an, dass auch eine Direktanlieferung von Abfällen z. B. durch lokale Gartenbaubetriebe erfolgen sollte. Die mit der Vorgabe u. U. verbundene Beschränkung des Wettbewerbs insbesondere in Form einer potenziellen Benachteiligung „auswärtiger“ Unternehmen sei hinzunehmen, wenn die Ortswahl sachlich legitimiert sei, die Vergabebedingungen zur Erreichung des legitimen Zwecks geeignet seien und die Ungleichbehandlung sich auf das Notwendige beschränke, sie also verhältnismäßig sei. Genau dies verneinte der Vergabesenat jedoch.

Die Vorgaben der Auftraggeberin zur örtlichen Lage des Umschlagplatzes überschritten nach Auffassung des Gerichts die Grenzen des Notwendigen und bevorzugten ohne sachlichen Grund Unternehmen, die entweder schon in Mainz tätig sind und dort über einen geeigneten Umschlagplatz verfügen oder bereit sind, mit einem ortsansässigen Unternehmen zusammenzuarbeiten.

Das hält das Gericht mit dem Wettbewerbsprinzip nicht für vereinbar. Ob ein Bieter auf einen bereits vorhandenen Umschlagplatz zurückgreifen oder einen neuen einrichten will, müsse ihm überlassen bleiben. Es gebe keinen sachlichen Grund, der es rechtfertigte, im Ergebnis nur Angebote von Bietern zuzulassen, die auf Vorhandenes zurückgreifen wollen und dafür mit potenziellen Konkurrenten verhandeln müssen. 

Zudem sah das OLG Koblenz die Forderung einer Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb, die sämtliche Tätigkeiten der ausgeschriebenen Leistungen umfasst, nicht als gerechtfertigt an. Nach seiner Auffassung war die Forderung so auszulegen, dass auch eine standortbezogene Zertifizierung für den Umschlagplatz bzw. die Endverwertungsanlage vorzulegen war.

Dass die Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens sich auf eine andere Auslegung „geeinigt“ hatten, sah der Vergabesenat als unerheblich an. Maßgeblich sei der objektive Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also eines nur abstrakt bestimmbaren Adressatenkreises und nicht das Verständnis des Auftraggebers oder einzelner Unternehmen. Eine standortbezogene Zertifizierung könnten nur die „Platzhirsche“ nachweisen. Von einem Unternehmen, das überhaupt noch nicht weiß, ob es den Auftrag erhalten wird, könne nicht verlangt werden, eine Betriebsstätte vorrätig zu halten und zertifizieren zu lassen.

Praxishinweise

Bei örtlichen Vorgaben für Entsorgungsleistungen ist zu unterscheiden zwischen Vorgaben zum Ort der Verwertung oder Beseitigung der Abfälle einerseits und Vorgaben zum Ort der Übernahme andererseits.

Dass der Auftraggeber die Abfälle transportieren muss, rechtfertigt nicht bereits die Vorgabe eines bestimmten Behandlungsorts. Beschränkungen, die sich aus dem Transport ergeben, könnte der Bieter auch durch die Übernahme der Abfälle an einer Umladestation Rechnung tragen. Dies hat die Vergabestelle im entschiedenen Fall beachtet und nur Vorgaben für den Ort der Übernahme der Abfälle gemacht.

Geographische Vorgaben für die Übernahme von Abfällen wurden bereits in der Vergangenheit von der Rechtsprechung gebilligt. Das OLG Düsseldorf begründete die Zulässigkeit eines Radius von 20 km um die Gemarkungsgrenze damit, dass das Einsammeln und Transportieren von den Städten und Gemeinden vorgenommen wurde, die Transportkosten und Fahrtkosten minimieren wollten (Beschluss vom 3.4.2008, VII Verg 54/07).

Das OLG Koblenz sah bereits in einer früheren Entscheidung die gute Erreichbarkeit und Minimierung des Zeitaufwands für den Transport sowie auch die Einhaltung bisheriger Tourenpläne als zulässige Gründe für die Vorgabe eines Radius an (Beschluss v. 22.7.2014 – I Verg 3/14).

Der Radius kann in Orientierung an der Fahrtzeit der Müllfahrzeuge, an der Straßenkilometer-Zahl oder Höchstfahrzeiten unter Berücksichtigung bestimmter Verkehrssituationen festgelegt werden.

Das OLG Koblenz billigte sogar die Einschränkung, dass die Annahmestellen auf derselben Rheinseite wie das Gebiet des Auftraggebers zu liegen hatten, weil die Brücken über den Rhein dem Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen waren und daher ein Nadelöhr darstellten. Hierdurch wurde ein Bieter, der somit seine vorhandenen Betriebsstätten nicht nutzen konnte, in zulässiger Weise benachteiligt.

Der nunmehr entschiedene Fall weist zwei Besonderheiten auf:

  • Zum einen warf er aufgrund des engen Zeitplans i.V.m. den örtlichen Vorgaben auch die Frage auf, ob Ausschreibungen im Abfallbereich auf das Angebot bereits bestehender Umschlag- und Verwertungsanlagen beschränkt werden dürfen.
  • Zum anderen hatte der Auftraggeber hier unterschiedliche Vorgaben für den Übernahmeort gemacht, je nachdem, ob es sich um einen Umschlagplatz oder eine Endverwertungsanlage handelte.

Die Frage, ob die Ausschreibung auf bestehende Anlagen beschränkt werden kann, stellt sich bei der Ausschreibung von Behandlungsleistungen generell.

Bereits entschieden wurde, dass der Auftraggeber jedenfalls nicht verpflichtet sein kann, das Genehmigungsrisiko für eine Entsorgungsanlage zu übernehmen, also auch Bieter mit noch nicht genehmigten Anlagen zum Wettbewerb zuzulassen (OLG Rostock, Beschluss v. 30.5.2005, 17 Verg 4/05, OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7.9.2003, VII Verg 26/03 – die jedenfalls die Forderung einer Genehmigung im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung billigen).

Richtigerweise kann der Auftraggeber, der als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger die Entsorgungssicherheit gewährleisten muss, verlangen, dass eine Abfallbehandlungsanlage bereits besteht. Nach § 46 Abs. 3 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) darf der Auftraggeber eine Beschreibung der technischen Ausrüstung des Unternehmens fordern. Das bezieht sich auf die vorhandene Ausrüstung. Hierzu gehört auch eine für die Abfallentsorgung erforderliche Behandlungsanlage.

Jedenfalls wenn nicht gleichzeitig – ohnehin zweifelhafte –  örtliche Vorgaben für den Behandlungsort gemacht werden, schränkt die Forderung einer vorhandenen Behandlungsanlage den Wettbewerb im Regelfall nicht übermäßig ein (anders, als wenn etwa für einen Auftrag zum Einsammeln und Befördern von Abfällen bereits vorhandene Kapazitäten gefordert werden).

Am Markt sind ausreichende Kapazitäten für die Behandlung von Abfällen verfügbar, sie werden (anders als etwa beim Einsammeln und Befördern) in aller Regel nicht eigens für einen bestimmten Kommunalauftrag geschaffen.

Anders zu sehen sein kann dies für den Umschlag von Abfällen. Wegen des erforderlichen Transports zum Ort des Umschlags mit Sammelfahrzeugen stellen sich i.d.R. enge Grenzen für den Radius, innerhalb dessen ein Umschlagplatz liegen darf. Würde insoweit der Wettbewerb auf bestehende Umschlagplätze begrenzt, läge hierin eine erheblich größere Einschränkung, als bei der Vorgabe, dass eine Anlage für die Behandlung der Abfälle bereits bestehen muss.

Zudem ist die Einrichtung eines Umschlagplatzes erheblich weniger aufwendig und mit weniger Realisierungsrisiken verbunden, sodass für eine entsprechende Beschränkung keine vergleichbaren Gründe angeführt werden können.

Im konkreten Fall war der wesentliche Gesichtspunkt für das OLG Koblenz, dass die Auftraggeberin für die Anlieferung an Endverwertungsanlagen auch einen Radius von 5 Kilometern um das Stadtgebiet zuließ und nicht erkennbar war, wieso nicht dasselbe für Umschlagplätze gelten sollte. Hierfür konnte kein sachlicher Grund angeführt werden.

Allerdings hätte das OLG Koblenz wohl auch dann, wenn ein Umschlag noch in 5 Kilometer Entfernung vom Stadtgebiet zugelassen worden wäre, die Ausschreibung beanstandet. Bei dem vorgegebenen Zeitrahmen wäre auch dann die Ausschreibung auf vorhandene Anlagen beschränkt gewesen, weil die Zeit zur Errichtung eines neuen Umschlagsplatzes nicht gereicht hätte.

Schon angesichts des eigenen Interesses an wirtschaftlichen Angeboten sollten Auftraggeber sorgfältig erwägen, welche Vorgaben für die örtliche Lage und den Realisierungsstand von Anlagen für die Übernahme von Abfällen sie in die Vergabeunterlagen aufnehmen. Hier kann nicht nur die Grenze des vergaberechtlich Zulässigen schnell überschritten sein, sondern der eingeschränkte Wettbewerb kann auch zu überhöhten Angebotspreisen führen.