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20.04.2017

A. Einleitung

Der Netzausbau ist die „Achillesferse der Energiewende”. ([1]) Der Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber ([2]) sieht Netzverstärkungen und –optimierungen in vorhandenen Trassen auf einer Länge von 4.900 km vor. Außerdem sollen 1.500 km Drehstromleitungstrassen und 2.100 km Korridore für HGÜ-Leitungen neu gebaut werden. Die Gesamtinvestitionen in den nächsten 10 Jahren für den Ausbau des Transportnetzes betragen danach rund 22 Milliarden €. Grund für den Bedarf an zusätzlicher Netzkapazität sind die naturgemäß größeren Schwankungen der Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien (insbesondere Windkraft und Photovoltaik) gegenüber der Einspeisung von Strom aus fossilen Brennstoffen.

Die Energiewende ist ohne den Netzausbau nicht denkbar. Sein Tempo bestimmt das Tempo der Energiewende. ([3]) Insbesondere die zum Neubau vorgesehenen Leitungen führen zu einem entsprechenden Flächenbedarf. Das gilt sowohl für oberirdische als auch für unterirdische Leitungen. Da sie in der Regel die Eigentümerrechte beeinträchtigen, ist eine Einigung mit dem jeweils betroffenen Eigentümer notwendig. ([4]) Kommt es nicht zur Einigung mit dem Eigentümer, können Besitzeinweisungs- und Enteignungsverfahren zur Flächensicherung durchgeführt werden. §§ 44b bis 45b EnWG, 27 NABEG liefern entsprechende Ermächtigungsgrundlagen.

Häufig scheitert eine Einigung mit den Eigentümern an der Entschädigungsfrage, die auch im Enteignungsverfahren relevant wird. Das geltende Enteignungsrecht geht vom Grundsatz der Verkehrswertentschädigung aus. ([5]) Die bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen verweisen wegen der Entschädigungsfrage auf die jeweils anwendbaren Landesenteignungsgesetze. Den betroffenen Eigentümern ist die (einmalig zu zahlende) Verkehrswertentschädigung häufig zu niedrig. So fordert etwa der Deutsche Bauernverband auf seiner Homepage im Zuge einer Neujustierung der Entschädigungsgrundsätze eine wiederkehrende Nutzungsvergütung, durch die die Grundstückseigentümer am wirtschaftlichen Erfolg der Netzbetreiber teilhaben würden. ([6]) Das kann zu einer höheren Entschädigung führen als die Verkehrswertentschädigung, bei der grundsätzlich außer Betracht bleibt, welchen wirtschaftlichen Nutzen der Enteignungsbegünstigte aus dem enteigneten Grundstück konkret zieht. ([7]) Eine solche Erfolgsbeteiligung ist den für die Entschädigung maßgeblichen Landesenteignungsgesetzen durchweg fremd. Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine andersartige Entschädigung als die Verkehrswertentschädigung verfassungsrechtlich zulässig oder sogar geboten ist. Diese Frage ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen.

 

B. Grundzüge des geltenden Entschädigungsrechts

Entschädigt werden der Rechtsverlust sowie die sonstigen durch die Enteignung eintretenden Vermögensnachteile. ([8])

Die Entschädigung für den Rechtsverlust richtet sich nach dem Verkehrswert des zu enteignenden Grundstücks oder sonstigen Gegenstands der Enteignung. ([9]) Der Verkehrswert wird gemäß § 194 BauGB durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr unter Berücksichtigung der rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften des Grundstücks ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Im Bereich des Netzausbaus wird die Enteignung vorwiegend im Wege der Begründung von Dienstbarkeiten (Leitungsrechten) erfolgen. Die vollständige Übertragung des Flächeneigentums wäre unverhältnismäßig. ([10])

Die Verkehrswertentschädigung für Dienstbarkeiten bestimmt sich nach der so genannten „Differenzwertmethode”: Die Höhe der Entschädigung entspricht also der Wertminderung, die ein Grundstück durch die Belastung mit einer Dienstbarkeit erleidet. ([11]) Der nachfolgende kurze Überblick über die Entschädigungshöhen ist zwar naturgemäß pauschal, mag aber einen Eindruck von der Entschädigungspraxis geben: Wird ein Grundstück mit einer Hochspannungsleitung überspannt, so führt dies nach der Differenzwertmethode zu einer Verkehrswertentschädigung von 10 bis 20 % des Bodenverkehrswerts. ([12]) Das OLG München erachtete bei Überspannungen einer Freileitung, die die wirtschaftliche Nutzung nicht behinderte, 8 % des Werts der überspannten Fläche für ausreichend. ([13]) Der BGH sprach 1982 von einer wiederholten Rechtsprechung, wonach 15 – 20 % des Verkehrswerts der betroffenen Fläche zu entschädigen sind. ([14]) Das OLG Hamm setzte für die Überspannung in einer Freileitung 10 % des Ackerlandpreises an. ([15]) In letzter Zeit entschied das LG Köln bei der Verlegung einer Leitung auf Gemeindeeigentum, dass die sachverständig festgestellte Wertminderung von 12,5 % schlüssig und nachvollziehbar sei. ([16]) Zwar handelte es sich dort nicht um einen entschädigungsrechtlichen Fall, die Wertungen sind jedoch übertragbar. Es fällt auf, dass seit den 1990er Jahren nur vereinzelte neuere Rechtsprechung zu diesem Thema ergangen ist. ([17]) Bei unterirdischen Leitungen (Erdkabeln) beträgt die Entschädigung bei land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken 20 bis 25 % des Verkehrswerts. ([18]) Bei Gewerbe- und Wohnbaulandflächen entspricht die Entschädigung ebenfalls 10 bis 20 % des Bodenverkehrswerts. Bei unterirdischen Leitungen kommt es darauf an, wie stark die Leitung die Bebaubarkeit des Grundstücks beeinträchtigt. ([19]) In der Praxis werden 25 bis 30 % gezahlt. ([20]) Die Maststandorte werden (unabhängig davon, ob insoweit eine Dienstbarkeit begründet wird, oder ob das Eigentum an der Maststandortfläche vollständig entzogen wird) mit dem einfachen Verkehrswert entschädigt. In der Praxis erfolgt häufig eine Einigung zwischen Eigentümer und Vorhabenträger nach Maßgabe der „Rahmenregelungen für Hochspannungsmasten/Entschädigungen in NRW” vom 05.11.2010. Diese werden nicht nur in NRW, sondern auch in anderen Bundesländern angewandt. ([21]) Eines Enteignungsverfahrens bedarf es dann nicht mehr. Die Rahmenregelungen berechnen die Maststandortentschädigung in Abhängigkeit vom Rohertrag der in Anspruch genommenen Fläche sowie der Mastkantenlänge. ([22]) Die Entschädigung beträgt 888,00 € bis 10.581,00 € pro Mast. ([23]) Diese Entschädigungshöhen werden als zu hoch kritisiert. ([24])

Neben der dargestellten Entschädigung für den Rechtsverlust sehen die Enteignungsgesetze eine weitergehende Entschädigung für andere durch die Enteignung entstehende Vermögensnachteile vor. ([25]) Gerade diese Entschädigungsregelungen sind geeignet, zahlreiche Kritikpunkte an der Verkehrswertentschädigung zu entkräften:

Soweit etwa durch Strommasten höhere Bewirtschaftungskosten aufgrund längerer Bewirtschaftungswege für Landwirte entstehen, werden diese als sogenannter „Mehrwegschaden” entschädigt. ([26]) Die Einzelheiten regeln die „Entschädigungsrichtlinien Landwirtschaft – LandR78”, die zur Ermittlung der Enteignungsentschädigung regelmäßig herangezogen werden. ([27]) Das Gleiche gilt für An- und Durchschneidungseffekte (Ziffer 3.2 LandR78). Soweit durch den Masten die Nutzbarkeit anderer, nicht von der Enteignung betroffener, Flächen fortfällt, kommt ein Übernahmeanspruch des Eigentümers in Betracht (Ziffer 3.6 LandR78). ([28]) Soweit (insbesondere bei Erdkabeln) Grundstücksbelastungen durch Abwärme oder elektromagnetischer Strahlung zu einer Verkehrswertminderung von der Enteignung nicht betroffenen Restgrundstücks führen, ist auch diese entschädigungsfähig. Da insoweit eine Wertminderung von Flächen entschädigt wird, die von der Enteignung nicht betroffen sind, handelt es sich um eine Entschädigung für andere Vermögensnachteile als den Rechtsverlust. ([29]) Die Höhe dieser entschädigungsfähigen Wertminderung muss jeweils im Einzelfall gutachterlich ermittelt werden.

Soweit jedoch durch die Enteignung (bzw. durch die durch sie ermöglichten Maßnahmen) eine etwa vorhandene Bauerwartung auf dem von der Enteignung nicht betroffenen Restgrundstück wegfällt, hat der Eigentümer nach Auffassung des BGH keinen gesonderten Entschädigungsanspruch. ([30]) Das wird insbesondere bei siedlungsnahen landwirtschaftlich genutzten Flächen relevant werden, über die Hochspannungsleitungen bzw. unter denen Erdkabel verlegt werden sollen. Aufgrund der Siedlungsnähe kann im Einzelfall eine Bauerwartung bestanden haben, soweit mit einer Ausdehnung der Wohnbebauung zu rechnen war. Diese kann aufgrund der Überspannung auch für die Flächen wegfallen, die nicht überspannt werden. Nach der zitierten Rechtsprechung des BGH ist die Bauerwartung als reine Chance, Aussicht oder Erwartung einer Entwicklung in Richtung Bebaubarkeit nicht von der Eigentumsgarantie umfasst.

 

C. Kritik an der Verkehrswertentschädigung

Die Betroffenen empfinden die dargestellte Art der Entschädigung vielfach als ungerecht. Dabei heben sie insbesondere eine –von ihnen so empfundene- Ungleichbehandlung mit den Netzbetreibern hervor. Diesen gesteht die Bundesnetzagentur nämlich gem. § 4 der Anreizregulierungsverordnung eine Eigenkapitalverzinsung von 9,05 % für Neuanlagen bzw. 7,14 % für Altanlagen jährlich (jeweils vor Steuern) zu. ([31]) In dieser Höhe dürfen die Netzbetreiber letztlich Entgelte einnehmen. Diese Einnahmemöglichkeit stehe in einem Missverhältnis zu den Einnahmen der Grundstückseigentümer aus der Enteignungsentschädigung. Dieses Missverhältnis sei umso weniger erträglich, als die Netzbetreiber nicht ausschließlich das Allgemeinwohl verfolgen, sondern privatwirtschaftliche Interessen. ([32]) Bei der empfundenen Ungerechtigkeit mag auch eine Rolle spielen, dass beispielsweise Verpächter von Flächen für Windkraftanlagen über einen Pachtzins regelmäßig von den oftmals erheblichen Gewinnen der Windkraftanlagen profitieren. Die Projektflächen für die Windkraftanlagen sind auf den ersten Blick genauso wichtig für die Energiewende wie die Leitungsflächen. Ihre Enteignung ist jedoch unzulässig, ([33]) so dass die Verpächter der Vorhabenflächen sich nicht mit einer Verkehrswertentschädigung zufrieden geben müssen, weil sie höhere Pachtzinsen vereinbaren können.

Weitergehende Kritik wendet sich gegen die ordnungsgemäße Ermittlung der Verkehrswertentschädigung in der Praxis. Nach Ansicht von Wolfram werden die Betroffenen im Schnitt um 20 – 100 % niedriger entschädigt als es nach geltendem Recht richtig wäre. ([34])

 

D. Rechtliche Stellungnahme

Da das einfache Recht durchweg das der Verkehrswertentschädigung verfolgt, stellt sich die Frage, ob diese Entschädigungsgrundsätze aufgrund höherrangigen Rechts im Bereich des Netzausbaus zu korrigieren sind. Prüfungsmaßstab ist Art. 14  Abs. 3 S. 3 GG. Danach ist die Entschädigung unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.

 

I. Verkehrswertentschädigung verfassungsrechtlich nicht vorgegeben

Nach dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG ist die Verkehrswertentschädigung nicht grundgesetzlich vorgegeben. Auch die Gesetzgebungsgeschichte spricht gegen eine Festlegung des Grundgesetzes auf die Verkehrswertentschädigung. ([35]) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist „eine starre, allein am Marktwert orientierte Entschädigung […] dem Grundgesetz fremd. […] Der Gesetzgeber kann je nach den Umständen vollen Ersatz, aber auch eine darunter liegende Entschädigung bestimmen.” Denn „das Abwägungsgebot des Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG ermöglicht es [ihm] –zwingt ihn unter Umständen aber auch- auf situationsbedingte Besonderheiten des Sachverhalts und die Zeitumstände Rücksicht zu nehmen.” ([36]) Nach (freilich nicht unumstrittener) Ansicht von Wieland sind auch die finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Hand ein Interesse der Allgemeinheit im Sinn von Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG. ([37]) Eine angespannte Haushaltslage kann es nach dieser Ansicht rechtfertigen, ein Grundstück unter Verkehrswert zu entschädigen.

Hat also in Ausnahmefällen die Rechtsprechung eine Entschädigung unterhalb des Verkehrswerts zugelassen, so ist doch zu betonen, dass in der Praxis häufig eine oberhalb des Verkehrswerts liegende Entschädigung gezahlt wird. Grund ist insbesondere die Suche nach Konsens für Infrastrukturvorhaben. ([38]) Diese Praxis kommt insbesondere in der Zahlung eines sogenannten „Beschleunigungszuschlags“ zum Ausdruck. Dieser beträgt 0,3 bis 0,5 €/m² der in Anspruch genommenen Schutzstreifenfläche und wird gezahlt, falls der Eigentümer die Dienstbarkeit innerhalb einer bestimmten Frist (in der Regel 8 Wochen) nach Angebotseingang notariell beglaubigten lässt. ([39]) Außerdem wird eine Aufwandsentschädigung von 50,00 bis 300,00 € je Eigentümer bzw. Nutzer gezahlt, bei Pilotprojekten zu HöS-Erdkabeln bis zu 1.500,00 €. ([40]) Dieser Befund hat freilich nur rechtstatsächlichen Erkenntniswert, und sagt nichts darüber aus, ob eine über dem Verkehrswert liegende Entschädigung auch verfassungsrechtlich geboten sein kann.

 

II. Interessenabwägung gemäß Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG

Drei Interessengruppen sind bei der Abwägungsentscheidung nach Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG zu berücksichtigen:

Zum einen die Interessen der betroffenen Grundstückseigentümer, zum anderen die Interessen der enteignungsbegünstigten Energieversorgungsunternehmen und schließlich die Interessen der Allgemeinheit. Das Interesse der Energieversorgungsunternehmen dürfte in einer möglichst hohen Eigenkapitalverzinsung bestehen, das Interesse der betroffenen Grundstückseigentümer in einer möglichst hohen Entschädigung. Die Allgemeinheit hat ein Interesse an möglichst niedrigen Strompreisen, bei gleichzeitiger Sicherstellung der Stromversorgung. ([41]) Regelmäßig führt diese Abwägung dazu, dass der Betroffene (Eigentümer) in die Lage versetzt werden soll, sich mit der Entschädigung eine gleichartige oder gleichwertige Sache wieder zu beschaffen. ([42]) Dies entspricht der Verkehrswertentschädigung. Dieser Interessenausgleich kommt auch in der Wirkung der Anreizregulierung auf Entschädigungszahlungen in privatrechtlichen Verträgen zum Ausdruck: Der Versorger hat ein Interesse an einer möglichst hohen Erlösobergrenze gemäß § 4 der Anreizregulierungsverordnung. Die Erlösobergrenze sinkt in dem Maß, wie der Versorger beeinflussbare Kostenanteile im Sinne von § 11 Abs. 4 der Anreizregulierungsverordnung verauslagt. Zahlt der Versorger mehr als die Verkehrswertentschädigung, so wird die Differenz als beeinflussbarer Kostenanteil anzusehen sein und so die Erlösobergrenze des Versorgers negativ beeinflussen ([43]).

Im Bereich der privatnützigen Enteignung im Allgemeinen und der Entschädigung von Wegerechten beim Bau von Stromleitungen im Besonderen wird gegen die Verkehrsentschädigung insbesondere eine Renditeargumentation ins Feld geführt. Nach dieser Argumentation liegt eine Übergewichtung der Versorgerinteressen zu Lasten der Eigentümerinteressen vor, weil die Versorger ihr eingesetztes Kapital – somit auch die gezahlte Enteignungsentschädigung bzw. die dadurch erlangten Rechte am Grundstück – mit jährlich rund 9 % verzinsen können. Dieser Vorteil stehe in keinem Verhältnis zur Einmalzahlung einer Enteignungsentschädigung in Höhe von rund 20 % des Grundstücksverkehrswerts. ([44]) Zur Beseitigung dieser vermeintlichen Ungleichbehandlung regen die Befürworter einer Entschädigung oberhalb des Verkehrswerts eine jährlich wiederkehrende Entschädigungszahlung in Höhe von 9 % des Bodenwerts an, die nach ihren Berechnungen zu keiner spürbaren Mehrbelastung der Stromkunden führen würde. ([45]) An dieser Argumentation ist jedoch zunächst zu kritisieren, dass es keinen Garantiezins für Netzbetreiber gibt. Denn ein Netzbetreiber kann eine Verzinsung von 9,05 % nur erreichen, wenn sein Effizienzwert 100 % beträgt und die tatsächlichen Kosten des Unternehmens höchstens seiner Erlösobergrenze entsprechen. ([46]) Die Kritik ist auch deshalb unschlüssig, weil eine Gleichbehandlung von Versorgern und Eigentümern bereits dann hergestellt wäre, wenn die jährliche Rendite 9 % der Enteignungsentschädigung betragen würde, regelmäßig also 9 % von 20 % des Grundstückswerts (jährlich also 1,8 % des Grundstückswerts). Das ist aber nicht die einzige Schwäche dieser Argumentation. Denn wenn den Versorgern vorgeworfen wird, aus enteigneten Grundstücken ungebührlich Kapital zu schlagen, läge es nahe, mit der Kritik an der Höhe der durch die BNetzA festzusetzenden Eigenkapitalverzinsung gemäß § 21 Abs. 2 EnWG anzusetzen. Dann müsste aber auch berücksichtigt werden, dass die Eigenkapitalverzinsung gemäß § 21 Abs. 2 EnWG risikoangepasst sein muss. Sie stellt einen Ausgleich für die Risiken dar, die die Versorger beim Betrieb des Stromnetzes tragen, nicht jedoch die Grundeigentümer. Das zeigt, dass nicht einfach Versorger-und Eigentümerrendite gegenübergestellt werden können. Erweist sich die festgelegte Eigenkapitalverzinsung als gesetzeskonform (diese Frage ist nicht Gegenstand der vorliegenden Ausführungen), so erfordert es das Allgemeininteresse an der Sicherstellung der Stromversorgung, dass die Eigentümer ein etwaiges „Renditegefälle“ hinnehmen müssen.

Am Rande sei allerdings angemerkt, dass die Behauptung, eine spürbare Mehrbelastung der Stromkunden trete durch die vorgeschlagene jährliche Rendite nicht ein, näherer Überprüfung bedürfte: In den erwähnten Gutachten werden nämlich Transaktionskosten überhaupt nicht berücksichtigt. Eine Entschädigung über Verkehrswert wird bei den Versorgern höhere Kosten als die reinen Vergütungszahlungen entstehen lassen, insbesondere Abwicklungs- und Kontrollkosten. Es wird auch damit zu rechnen sein, dass sich die betroffenen Eigentümer im Laufe der Vertragslaufzeit auf steigende Grundstückswerte berufen, um die jährliche Nutzungsvergütung zu erhöhen. Hier dürfte eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten entstehen, die zu erheblichem Verwaltungsaufwand bei den Energieversorgern führen könnte.

Dass es mangels überzeugender Gegenargumente bei der Verkehrswertentschädigung bleibt, bedeutet jedoch nicht, dass die bisherige Entschädigungspraxis pauschal auf alle künftigen Enteignungsfälle – insbesondere solche zum Ausbau des länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungsnetzes (NABEG) – übertragbar wäre. Der Verkehrswert ist nach den jeweiligen Marktverhältnissen zu ermitteln. Bei deren Ermittlung kann grundsätzlich auf Vereinbarungen zwischen Versorgern und Eigentümerverbänden zurückgegriffen werden. ([47]) Das dürfte grundsätzlich auch für die bereits zitierten Rahmenregelungen für Hochspannungsmasten/Entschädigungen in NRW gelten. Diese dürften die Marktverhältnisse in ihrem Anwendungsbereich sachgerecht abbilden. Möglicherweise bildet sich jedoch insbesondere für Flächen, die für Höchstspannungsleitungen benötigt werden, ein besonderer Markt. Insbesondere öffentliche Bauträger zahlen zur Vermeidung langwieriger Enteignungsverfahren vielfach eine Entschädigung, die deutlich über den Kaufpreisen benachbarter „reiner“ Land- oder Forstwirtschaftsflächen liegen. In der Praxis ist das Marktgeschehen dann durch überhöhte Preise gekennzeichnet, die im Ergebnis zu einem selbstgeschaffenen Teilmarkt führen können. ([48]) Die Bildung solcher Teilmärkte ist entgegen der Ansicht von Kleiber nicht ausschließlich bedauernswert. Denn die Durchsetzung des „reinen“ Verkehrswerts vor der Enteignungsbehörde erfordert in der Regel die Durchführung sowohl eines Besitzeinweisungs- als auch eines Enteignungsverfahrens. ([49]) Die Durchführung dieser Verfahren bindet zum einen oftmals erhebliche personelle Ressourcen beim Vorhabenträger (hier: Energieversorger). Sie erfordert zum anderen oftmals die Inanspruchnahme externen Sachverstands (insbesondere Grundstücksbewerter). Vor diesem Hintergrund kann es wirtschaftlich sein, solche Transaktionskosten zu vermeiden und den Grundeigentümern erhöhte Entschädigungsleistungen anzubieten. ([50])

 

E. Ergebnis und Ausblick

Art. 14 Abs. 3 GG gebietet es nicht, von der im geltenden Enteignungsrecht verankerten Verkehrswertentschädigung abzuweichen. Insbesondere ist es nicht geboten, die Grundeigentümer am wirtschaftlichen Erfolg der Energieversorger etwa durch eine jährliche Rente teilhaben zu lassen. Zahlreiche Einwände gegen die Verkehrswertentschädigung lassen sich durch deren sachgerechte Anwendung entkräften, insbesondere durch die Berücksichtigung von Mehrwegschäden, An- und Durchschneidungseffekten und etwaigen Übernahmeansprüchen. Bei der Ermittlung des Verkehrswerts ist zu prüfen, ob sich beispielsweise für Flächen, die für Höchstspannungsleitungen benötigt werden, ein Teilmarkt gebildet hat oder künftig bilden wird, auf dem höhere Kaufpreise geboten werden als dies bislang bei energiewirtschaftlichen Vorhaben der Fall war.

 

[1])                     Straßburg in: De Witt/Scheuten, NABEG, Einleitung, Rz. 2.

[2])                      Feix/Obermann/Strecker/Brötel, Der NEP 2012, Neue Netze für Neue Energien, Erläuterungen und Überlick der Ergebnisse Stand: 17.07.2013.

[3])                     Neue Netze für Neue Energien, S. 50.

[4])                      Eine Ausnahme gilt lediglich für Leitungen, die in solcher Tiefe verlegt werden, dass der Eigentümer kein Ausschließungsinteresse gemäß § 905 S. 2 BGB hat, vgl. näher: Rude/Wichert in: De Witt/Scheuten, NABEG,    § 27, Rz. 7 m.w.N.

[5])                     Vgl. beispielhaft § 10 Abs. 1 S. 1 EntGBbg.

[6])                      Krüger, kein Netzausbau ohne Akzeptanz der Land- und Forstwirte!, http://www.bauernverband.de/kein-netzausbau-akzeptanz-land-forstwirte (letzter Abruf 06.03.2017).

[7])                     vgl. näher zur Verkehrswertentschädigung nachfolgend Ziff. 2.

[8])                     Vgl. z. B. § 8 S. 2 Enteignungsgesetz Brandenburg.

[9])                     Vgl. z. B. § 95 Abs. 1 S. 1 BauGB; § 10 Abs.1 S. 1 Enteignungsgesetz Brandenburg.

[10])                    Vgl. beispielhaft § 7 Abs. 1 S. 2 Enteignungsgesetz Brandenburg.

[11])                    Aust/Jakobs/Pasternak, Die Enteignungsentschädigung, 6. Aufl., Rz.166; BGHZ. 120, 38.

[12])                    Simon/Fischer in: Kleiber: Verkehrswertentschädigung von Grundstücken, 6. Auflage, 2010, Kapitel IX, Rz. 414 m. w. N.

[13])                    OLG München, Urteil vom 23.01.1980, 12 U 2924/79.

[14])                    BGH, Urteil vom 01.02.1982, III ZR 93/80.

[15])                    OLG Hamm, Urteil vom 11.03.1982, 22 U 81/81; Urteil vom 28.11.1983, 22 U 23/83.

[16])                    LG Köln, Urteil vom 12.08.2014, 5 O 312/12.

[17])                    frontier economics/White&Case, Entschädigung von Grundstückseigentümern und Nutzern beim Stromnetzausbau – eine Bestandsaufnahme, Oktober 2016, S. 43, http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/entschaedigung-grundstueckseigentuemern-nutzern-stromnetzausbau.pdf (Letzter Abruf 06.03.2017).

[18])                    Simon/Fischer, (Fn. 12), Rz. 409.

[19])                    Näher: Rude/Wichert,.Fn. 4, § 27, Rz. 108.

[20])                    frontier economics/White&Case, (Fn. 17), S. 62.

[21])                    Wollbring/Jennissen, GuG 2013, 22.

[22])                    Näher: Rude/Wichert, Fn. 4, Rz. 109.

[23])                    frontier economics/White&Case, (Fn. 17), S. 63.

[24])                    Bewer, WF 2012, 23.

[25])                    Vgl. beispielhaft § 11, EntG Bbg.

[26])                    Vgl. die beim Fachforum des Deutschen Bauernverbands geäußerte Kritik an der Verkehrswertentschädigung, veröffentlicht in Pressemeldung Land folgt Niedersachsen, Aktuelles aus Land und Forst – künftig mehr Geld für Energietrassen?.

[27])                    Zum Mehrweg- oder Umwegeschaden vgl. Ziffer 3.3 LandR78.

[28])                    Für das Landesenteignungsrecht beispielhaft: § 7 Abs. 3 EntG Bbg.

[29])                    Vgl. näher: Steinhorst/Bahrs, Entschädigungen im Kontext erdverlegter Höchstspannungsleitungen und landwirtschaftlicher Nutzungen, GuG 2012, 145, 154 bis 158.

[30])                    BGHZ 62, 96; dazu: Schönemann, Enteignungsentschädigung für Bauerwartung?, DVBl. 1985, 662.

[31])                    Bundesnetzagentur, Beschluss vom 31.10.2011, Aktenzeichen BK 4-11-304.

[32])                    Holznagel, Entschädigung von Wegerechten beim Bau von Energietransportleitungen: Sind die Entschädigungsmaßstäbe bei privatnütziger Enteignung noch zeitgemäß? DÖV 2010, 847, 852.

[33])                    Strittig, wie hier: Hermes in: Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 4. A., § 10, Rz. 39 m.w.N. Die Frage ist allerdings bislang theoretischer Natur, aus der Praxis sind den Verf. keine Enteignungsanträge/-verfahren für Vorhabenflächen bekannt.

[34])                    topagrar, Ausgabe 4/2011, S. 16 f, Bauern bekommen zu wenig Entschädigung!

[35])                    Leisner in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., 2010, Band 8, § 173, Rz. 128 m.w.N.

[36])                    BVerfGE 24, 367.

[37])                    Wieland in: Dreier, Grundgesetzkommentar, 3. A., 2013, Art. 14, Rz. 136; a. A.: Leisner, NJW 1992, 1409 (1415), Papier in: Maunz, GG, Art. 14, Rz. 607.

[38])                    Wieland, a.a.O., Rz. 132.

[39])                    frontier economics/White&Case, (Fn. 17), S. 62.

[40])                    frontier economics/White&Case, (Fn. 17), S. 63.

[41])                    Ebenso: Holznagel, DÖV 2010, 847, 852. Das Interesse der Allgemeinheit an niedrigen Endabnehmerpreisen hat der BGH bei der Bestimmung der Höhe der Ausgleichszahlung gemäß § 76 Abs. 2 TKG (§ 57 Abs. 2 TKG a. F.) betont, freilich im Zusammenhang mit Art. 87 f GG, § 1 TKG, nicht im Zusammenhang mit Art. 14 GG.

[42])                    BGHZ 39, 198, 200; 41, 354, 358.

[43])                    frontier cconomics/White&Case, (Fn. 17), S. 60.

[44])                    Holznagel, DÖV 2010, 847 (851, 852).

[45])                    Grove, Auswirkungen einer jährlich angemessenen Verzinsung des Grundstückswerts auf Endkundenstrompreise im Vergleich zur bisherigen Entschädigungspraxis bei Energieleitungen, Gutachten im Auftrag des Deutschen Bauernverbandes e. V. 2012, S. 18.

[46])                    frontier economics/White&Case, (Fn. 17), S. 60; Bundesnetzagentur, Die wesentlichen Instrumente der Anreizregulierung in Deutschland, Internet.

[47])                    BVerfG, Beschluss vom 20.01.2005, 1 BvR 290/01.

[48])                    Kleiber, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 6. A., Kapitel VI, Rz. 654 ff.; BGH, Urteil vom 23.05.1985, III ZR 10/84.

[49])                    im Anwendungsbereich des NABEG: § 27 Abs. 1 u. 2 NABEG, hierzu: Rude/Wichert in: De Witt/Scheuten, NABEG, 2013, § 27, Rz. 1 ff.

[50])                    Vgl. für den Teilmarkt „künftige Flughafenfläche“ die Übersicht von Dietrich in Kleiber,.(Fn. 48 oder Fn. 12 ?), Rz. 704.