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11.01.2018

Die Herausforderungen in einem Vergabeverfahren liegen für den öffentlichen Auftraggeber in der Beschreibung der Leistung und der Auswahl des Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll. Unter den geeigneten Unternehmen muss der Auftraggeber dasjenige auswählen, das das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat. In diesem Jahr hat es zu diesen Bereichen einige für die Praxis bedeutsame Entscheidungen gegeben.

Beschreibung der Leistung: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.5.2017 – Verg 36/16 (Drohnen)

Bei der Beschreibung der Leistung hat der öffentliche Auftraggeber ein weitgehendes Leistungsbestimmungsrecht, darf aber den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern. Aufgabe des Auftraggebers ist es die Angebote zu prüfen und zu beurteilen, ob die in der Leistungsbeschreibung beschriebene Leistung durch den Bieter und potentiellen Auftragnehmer ordnungsgemäß erbracht werden kann.

Insbesondere im IT-Bereich haben Auftraggeber den Wunsch, den bisherigen Auftragnehmer auch mit Folgeaufträgen zu beauftragen und ein bestimmtes Produkt vorzugeben. Dies stößt sich regelmäßig an dem in § 31 Abs. 6 der Vergabeverordnung (VgV) normierten Grundsatz der Produktneutralität.

Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Auftraggeber aber sogar ein konkretes Produkt vorgeben. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf unlängst in einer Entscheidung zu einem Vergabeverfahren, das die Beschaffung von bewaffnungsfähigen unbemannten Luftfahrzeugen (Drohnen) betraf, anschaulich bestätigt:

Der öffentliche Auftraggeber ist demnach bei der Beschaffungsentscheidung für ein bestimmtes Produkt, eine Herkunft, ein Verfahren oder dergleichen im rechtlichen Ansatz ungebunden. Die Wahl unterliege der Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert ist. Das Vergaberecht regelt nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschafft, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung.

Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers sind eingehalten, sofern

  • die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist,
  • vom Auftraggeber nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden ist,
  • solche Gründe tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sind und
  • die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.

Die Entscheidung des Auftraggebers für die Beschaffung eines bestimmten Produkts aus technischen Gründen ist dann sachlich gerechtfertigt, wenn hierdurch im Interesse der Systemsicherheit und Funktion eine wesentliche Verringerung von Risikopotentialen (Risiko von Fehlfunktionen, Kompatibilitätsprobleme, höherem Umstellungsaufwand) bewirkt wird.

Der öffentliche Auftraggeber darf jedwede Risikopotentiale ausschließen und den sichersten Weg wählen.

Bei der dem Beschluss zugrundeliegenden Beschaffung von Drohnen hat der Vergabesenat die raschere Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit sowie die Vorteile im Zusammenhang mit der Bewaffnungsfähigkeit der Drohnen als ausreichende nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angesehen.

Die schnellere Verfügbarkeit und Einsatzfähigkeit ergab sich aus dem Lieferzeitraum und der bereits über die bisherige Verwendung von Drohnen dieses Systems gewährleistete Ausbildung des Bundeswehrpersonals an der Drohne des vorgegebenen Systems.

Außerdem lag für die gewünschte Drohne bereits die Zustimmung der Regierung des Herstellungsstaates für den Export der Drohnen vor, wohingegen bei anderen Systemen, die z. B. in den USA hergestellt werden, noch eine Exportgenehmigung notwendig sei.

Die Grundsätze aus dem Beschluss des OLG Düsseldorf dürften auch produktbezogene IT- Beschaffungen rechtfertigen, wenn der Auftraggeber nachvollziehbare und nachweisbare Gründe für die Beschaffung eines bestimmten Systems vorträgt und im Vergabevermerk festhält.

Solche Gründe können sich ergeben, wenn aus Sicht des Auftraggebers eine Gesamtfunktionalität erforderlich ist oder bei einem neuen System das Risiko von Fehlfunktionen und Kompatibilitätsprobleme bestehen sowie ein zusätzlicher Aufwand für Schulungen zu erwarten ist (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.4.2016).

Nach dem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 31.5.2017 könnte unter Umständen die Festlegung auf eine bestimmte Software schon deshalb gerechtfertigt sein, weil ein anderer Softwareanbieter die Software mit den entsprechenden Funktionalitäten erst noch entwickeln muss und diese daher erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Verfügung stehen würde.

Nachforderung von Herstellerangaben: VK Münster, Beschluss v. 9.6.2017 – VK 1-12/17 (Tape Libraries)

Mit § 56 Abs. 2 und 3 enthält die Vergabeverordnung (VgV) seit 2016 eine detailliertere Regelung zur Nachforderung von Unterlagen. Dem Wortlaut nach lässt sie insbesondere die Nachforderung von fehlenden, unvollständigen und fehlerhaften unternehmensbezogenen Unterlagen und auch die Nachreichung oder Vervollständigung von leistungsbezogenen Unterlagen zu.

Im Einzelfall ist es für den Auftraggeber aber nach wie vor nicht immer einfach zu erkennen, ob fehlende Unterlagen nachgefordert werden dürfen.

Die Vergabekammer Münster unterscheidet in einem Beschluss vom 9.6.2017 (VK 1-12/17) zwischen leistungsbezogenen Unterlagen und der Festlegung auf ein Produkt. Eine Festlegung auf ein bestimmtes Produkt nach Ablauf der Angebotsfrist sei von § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV nicht erfasst.

Gegenstand des Auftrags war die Lieferung, Installation und Inbetriebnahme zweier Tape-Libraries. Eine Tape-Library (auch Tape-Roboter, Tape-Silo, Tape-Jukebox oder deutsch Bandbibliothek) ist ein Gerät, in dem sich ein oder mehrere Bandlaufwerke und mehrere Magnetbänder befinden, die das Gerät automatisch in das oder die Bandlaufwerke einlegt.

Ein Bieter füllte zwar im Leistungsverzeichnis Angaben zu den Anforderungen an die Hardware aus. Das Angebot enthielt aber keine Angaben zum Hersteller. Die Auftraggeberin hielt das Angebot im Hinblick auf die Einhaltung der Vorgaben der Leistungsbeschreibung für nicht überprüfbar und forderte keine Unterlagen nach. Das betroffene Unternehmen griff das Vergabeverfahren an und trug vor, die Herstellerangabe hätte nach § 56 VgV nachgefordert werden müssen.

Die Vergabekammer lehnte die Möglichkeit der Nachforderung ab. Die fehlende Angabe zu Hersteller und Modell sei eine Änderung an den Vergabeunterlagen, das Angebot deshalb von der Wertung auszuschließen.

Eine Nachforderung dieser leistungsbezogenen Unterlagen sei nicht zulässig gewesen: Ohne Angabe zu Modell und Hersteller bleibe offen, welche Leistung angeboten werde. Das mache das Angebot nahezu inhaltsleer und führe im Ergebnis dazu, dass eine der Annahme zugängliche Offerte gar nicht vorgelegen habe. Ein zuschlagsfähiges Angebot liege nicht vor.

Es handele sich bei den Unterlagen auch nicht um leistungsbezogene Unterlagen gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 2. HS VgV, die nachgefordert hätten werden können. Leistungsbezogene Unterlagen seien nur solche, die den Inhalt der angebotenen Leistung belegen. Eine erstmalige Festlegung auf einen konkreten Hersteller und damit auf ein Produkt sei von § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV nicht gestattet. Dieser würde nur den Beleg hierüber erfassen.

Die Vergabekammer Münster schränkt die Reichweite der Nachforderung von leistungsbezogenen Unterlagen damit nicht unerheblich ein. Die Herstellerangabe bekommt einen sehr hohen Stellenwert. Dies dürfte nicht bei allen Leistungen gerechtfertigt sein.

Eignungsleihe und Verpflichtungserklärung: VK Bund, Beschluss v. 9.8.2017 – VK 1 77/17 (Cannabis)

Verpflichtungserklärungen des Eignungsverleihers nach § 47 VgV sind unter unterschiedlichen Gesichtspunkten rechtlich immer wieder interessant.

Mit einzelnen Aspekten der Eignungsleihe befasste sich die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) in einem Beschluss zu einem europaweiten Verhandlungsverfahren zur Vergabe von Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis zu medizinischen Zwecken.

Im Teilnahmeantrag war die Eignung über Referenzen über früher ausgeführte Aufträge des Bewerbers zu Anbau, Verarbeitung und Lieferung von Cannabis für medizinische Zwecke oder über den Anbau, die Verarbeitung und Lieferung von Arzneipflanzen (ohne Cannabis) in den letzten drei Jahren nachzuweisen.

Für den Fall, dass ein Bewerber die Kapazitäten anderer Unternehmen in Anspruch nehmen will, war der Wortlaut des § 47 VgV („Eignungsleihe“) in den Bewerbungsunterlagen wiedergegeben.

Auf Bieternachfragen wies der Auftraggeber darauf hin, dass der Eignungsverleiher die ausgeführten Leistungen auch tatsächlich erbringen müsse. Es seien Verpflichtungserklärungen und Eigenerklärungen des Eignungsverleihers vorzulegen.

Die Eignungsleihe hatte in dem konkreten Vergabeverfahren deshalb besonders große Relevanz für die Unternehmen, weil der Anbau von Cannabis auch zu medizinischen Zwecken bisher in Deutschland nicht erlaubt war.

Ein Unternehmen (die spätere Antragstellerin) gab einen Teilnahmeantrag ab, in dem ein Memorandum of Understanding zwischen ihr und einem Serviceprovider beigefügt war, um die Verfügbarkeit im Sinne von § 47 VgV nachzuweisen. Das Unternehmen wurde nicht zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert, weil sie "die Mindestbedingung gemäß der Bekanntmachung bzw. Ziffer 3.2 der Aufforderung zur Abgabe von Teilnahmeanträgen" nicht erfülle. Ausweislich der Vergabeakte forderte die Auftraggeberin die Bewerber, deren Referenzen insgesamt mit der Höchstpunktzahl von 60 bewertet wurden, zur Angebotsabgabe auf sowie ein Bewerber, der 40 Punkte erhalten hatte, aber im Vergleich zu anderen Bewerbern mit derselben Punktzahl größere Mengen des maßgeblichen Referenzprodukts geliefert hatte. Weitere Bewerber hatten zumindest eine wertungsfähige "Arzneipflanzen-Referenz" abgegeben.

Die Antragstellerin rügte daraufhin, ihre Referenzen seien fehlerhaft gewertet worden und die Eignungsanforderungen seien nicht nachvollziehbar, inhaltlich zu unbestimmt und widersprüchlich.

Gegen ihre Nichtberücksichtigung strengte die Antragstellerin ein
Nachprüfungsverfahren bei der VK Bund an.

Ohne Erfolg. Die VK Bund wies den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurück. Die „Cannabis-Referenz“ des Serviceproviders konnte demnach nicht berücksichtigt werden könne, weil kein der Nachweis im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 VgV erbracht worden sei, dass der Antragstellerin im Falle der Zuschlagserteilung die Mittel des Eignungsverleihers tatsächlich zur Verfügung stünden. In der Vereinbarung mit dem Provider stünde dies unter dem Vorbehalt, dass noch ein weiterer umfassender und detaillierter Dienstleistungsvertrag ausgehandelt werde. Der Erklärung fehle die notwendige Rechtsverbindlichkeit im Sinne des § 47 VgV.

Bei einem Auftragsgegenstand Anbau, Weiterverarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis nach bestimmten Standards seien Referenzen und ggf. hierzu vorliegende Verpflichtungserklärungen auftragsbezogen.

Gegen die Angemessenheit der aufgestellten Eignungsanforderungen spreche im Übrigen nicht, so die VK Bund, dass diese Nachweise in den Leistungsteilen nur durch Einbindung ausländischer Unternehmen erbracht werden können, weil ein solcher Auftrag in Deutschland erstmals vergeben wird und daher von potentiellen Anbietern in Deutschland noch keine entsprechenden Erfahrungen nachgewiesen werden können.

Unternehmen, die selbst nicht über entsprechende Erfahrungen verfügen, könnten sich ihre Eignung ggf. von einem anderen Unternehmen „leihen“.

Es sei auch nicht unangemessen, die rechtsverbindliche Verpflichtungserklärung bereits im Teilnahmewettbewerb zu verlangen.

Da der Eignungsverleiher Fähigkeitslücken des Bewerbers ausgleichen soll, können dessen Fähigkeiten oder Kapazitäten nur dann zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn ihm diese wie seine eigenen auch tatsächlich zur Verfügung stehen.

Anderenfalls könne der öffentliche Auftraggeber die Eignung eines solchen Bewerbers nicht hinreichend prüfen und ggf. bejahen. Solche Eignungslücken muss der Auftraggeber nicht hinnehmen. Er braucht sich nicht auf Risiken und Mehraufwand einzulassen.

Die Zusage, die der öffentliche Auftraggeber benötige, um die Eignung eines Bewerbers, der sich hierzu auf  Dritte berufe, abschließend und mit hinreichender Verlässlichkeit prüfen zu können, müsse zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem die Eignung beurteilt werde, also im Teilnahmewettbewerb.

Bezogen auf das gleiche Vergabeverfahren hatte die Vergabekammer des Bundes bereits im Beschluss vom 1.8.2017 (VK 1–69/17) ausgeführt, dass die Teilnahmeantragsfrist auch in Betrachtung der konkret geforderten Unterlagen angemessen ist.

Aus der Entscheidung der VK Bund folgt, dass sich Bieter bei Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb, die sich zum Nachweis der Eignung auf die Fähigkeit anderer Unternehmen berufen, schon sehr frühzeitig auf einen Eignungsverleiher festlegen müssen und mit diesem eine rechtsverbindliche Vereinbarung schließen müssen.

Ende der „Schulnoten-Rechtsprechung“: BGH, Beschluss v. 4.4.2017 – X ZB 3/17,

In den vergangenen Jahren hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit seiner sogenannten „Schulnoten-Rechtsprechung“ enge Anforderungen an die Transparenz von Zuschlagskriterien aufgestellt. Diese Rechtsprechung wurde zu Recht stark kritisiert.

Mit dem Beschluss vom 4.4.2017 hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt, dass auch ein Wertungssystem, bei dem die Bieter den Vergabeunterlagen nicht entnehmen können, wovon die jeweils zu erreichende Punktzahl für das Konzept konkret abhängen soll, nicht in jedem Fall vergaberechtswidrig ist.

Der Wettbewerb in einem Vergabeverfahren, in dem der Auftraggeber ein Konzept fordert, das er bewertet, habe partiell das Gepräge eines Vergabeverfahrens mit funktionaler Leistungsbeschreibung.

In diesen Fällen reicht es aus, wenn dem Bieter die Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers hinreichend deutlich sind. Eine Unterlegung der erzielbaren Noten bzw. Punkte mit konkretisierenden Informationen zu den mit den Unterkriterien verbundenen Erwartungen liefe darauf hinaus, ein anderes Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Der öffentliche Auftraggeber müsste den Bietern direkt oder unmittelbar Lösungskomponenten vorgeben, die diese zwangläufig aufgreifen würden, um in der Angebotswertung bestehen zu können.

Damit würde der öffentliche Auftraggeber gezwungen, Aufgaben zu übernehmen, deren Lösung er im Rahmen der funktionalen Ausschreibung in vergaberechtlich unbedenklicher Weise auf die Bieter delegieren wollte.

Auch der Beschluss des BGH entbindet den öffentlichen Auftraggeber aber nicht davon, einen Rahmen für seinen Beurteilungsspielraum vorab festzulegen und bekanntzumachen. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall für ein Vergabeverfahren ergeben, hängt auch vom Auftragsgegenstand und den vorgegebenen Kriterien ab.

Der öffentliche Auftraggeber sollte seinen Erwartungshorizont zumindest abstrakt in den Vergabeunterlagen beschreiben (siehe hierzu Gnittke/Hattig, in: Müller-Wrede, VgV/UVgO, Kommentar, § 58 VgV Rn. 249). Es ist aber nicht (mehr) erforderlich, im Vorhinein zu bestimmen, welchen genauen Erfüllungsgrad ein Angebot auf Grundlage eines Kriterienkataloges aufweisen muss, um mit einer bestimmten Noten oder einem bestimmten Punktwert bewertet zu werden.